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Pharmakonzerne kassieren ab [Beitrag #141627] :: Mi., 12 November 2008 16:29

Pharmakonzerne kassieren ab

Medikament zwanzigmal teurer bei gleicher Wirkung

von Rainer Fromm und Richard Rickelmann

Pharmakonzerne bringen in Deutschland überteuerte Medikamente auf den Markt und können nahezu wirkstoffgleiche, wesentlich preisgünstigere Alternativen blockieren. Der Bremer Gesundheitsökonom Professor Gerd Glaeske kritisiert die Unternehmen scharf. "Ich halte sie für asozial", sagte er Frontal21.

Diese Unternehmen gingen nicht konform mit der gesetzlichen Krankenversicherung, meint Glaeske. Seiner Ansicht nach habe jeder Anbieter auch eine Verpflichtung dem System gegenüber, es nicht nur auszunehmen, sondern es auch zu stabilisieren. Ausgelöst hatte die seit Monaten andauernde Diskussion über die Preispolitik einiger Pharma-Riesen das Augenmedikament Lucentis des Herstellers Novartis. Ärzte und Krankenkassen hatten sich geweigert, ihren Patienten das teure Präparat zu verschreiben und stattdessen ein dafür nicht zugelassenes Medikament verordnet: Avastin von Roche.

Glaeske kritisiert die Preispolitik einiger Pharmakonzerne.

Beide Mittel wirken gegen eine bestimmte Form der Altersblindheit, in der Fachsprache als Makuladegeneration (AMD) bezeichnet. Jahr für Jahr erkranken daran Zehntausende Menschen. Nur die Neuerkrankungen sind behandelbar. Bei AMD kommt es zur Zerstörung der hoch empfindlichen Sinneszellen im "gelben Fleck" (Makula), der in der Netzhautmitte für die wichtigsten Sehleistungen zuständig ist. In der Folge geht die zentrale Sehschärfe der Betroffenen verloren, der Patient wird allmählich blind.
"Ich hatte Angst, dass ich blind werde"

Auch Inge Bender leidet an AMD. Die 86-Jährige kann nur noch mit der Lupe sehen. "Ich hatte Angst, dass ich ganz blind werde", erzählt die Rentnerin. Doch Ärzte gaben ihr wieder Hoffnung. Sie behandelten Inge Brender mit dem Medikament Avastin. "Nach der Spritze konnte ich wieder die Hand erkennen und drei Finger", berichtet sie.

Aus Sicht der Pharmaindustrie aber handelten die Ärzte illegal. Denn das Roche-Medikament Avastin ist nur als Krebsmittel zugelassen und nicht zur Bekämpfung von Altersblindheit. Roche hatte darauf verzichtet, die Substanz als Augenmedikament anzumelden. Stattdessen präsentierte die Unternehmensgruppe Novartis, der Roche zu einem Drittel gehört, Anfang 2007 das fast identische, aber um ein Vielfaches teurere Präparat Lucentis.

Körber: "Die Wirkung ist gleichwertig."

Gewaltige Preisunterschiede

"Wir sind uns sicher darüber einig, auch fachlich einig, dass die Wirkung gleichwertig ist", so der Kölner Augenarzt Professor Norbert Körber im Frontal21-Interview. Die Kosten je Dosis dagegen würden jedoch völlig unterschiedlich ausfallen, so der Mediziner: Eine Spritze Avastin koste etwa 65 Euro, eine Dosis Lucentis ungefähr 1300 Euro - ein gewaltiger Unterschied.

Bezahlen müssen den die Krankenkassen. Würden alle Avastin-Patienten mit Lucentis behandelt, ergäbe das für die Kassen eine Mehrbelastung von rund einer Milliarde Euro. Doch wie kommen derartige Preisunterschiede zu Stande? Frontal21 fragt bei Novartis nach. Zum Fall Lucentis erklärt uns das Unternehmen schriftlich: "Seine Kosteneffektivität haben unabhängige Institute in anderen Ländern (...) nachgewiesen. (...) Die angebliche Belastung der Versichertengemeinschaft weisen wir zurück."

Keine Preisbindung für Neumedikamente

Das sieht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) anders: "Das sind Wucherpreise, die das Unternehmen dafür verlangt", kritisiert Professor Peter Sawicki. Rechtlich jedoch, so räumt er ein, sei das momentan zulässig. Dem könne man nur eine staatlich regulierte Preisbildung entgegensetzen.

Denn die gibt es bisher in Deutschland nicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten ist es den Pharmaunternehmen hier erlaubt, ohne Absprachen mit den Kassen jeden Preis für Neumedikamente zu verlangen. Und der Fall Lucentis ist keine Ausnahme, sagt Dr. Peter Moormann von der Kaufmännischen Krankenkasse: "Wir beobachten entsprechend hochpreisige Therapien auch speziell im Bereich der Krebstherapie, und wir sehen das auch im Bereich der Antirheumatika, aber auch in anderen Bereichen, wie der Neurologie." Überall sei der Trend da, Arzneimittel zu überhöhten Preisen auf den Markt zu bringen, so Moormann.

Experten plädieren für Zwangszulassung

Deutschland, ein Paradies für Pharmaunternehmen? Moormann meint, ja. Und Novartis tut alles dafür, dass das so bleibt. Im Herbst 2007 wollte das Unternehmen den Ärzten sogar gerichtlich untersagen lassen, die günstige Avastin-Behandlung mit den Krankenkassen abzurechnen. Der Pharma-Riese scheiterte, sieht aber dennoch keinen Anlass, seine Preispolitik zu ändern. So fordern Experten nun von der Politik, Medikamente wie Avastin mit staatlicher Hilfe zuzulassen.
Weitere Themen der Sendung

"Ich finde es völlig richtig, wenn die Politik das Wort Zwangszulassung auch in den Mund nimmt", betont Glaeske. Denn damit werde ein Stoppschild markiert, dass die pharmazeutische Industrie nicht ungehindert ihre Preise festlegen, ihre Aktionäre bedienen könne, und dabei nicht an das Sozialwesen denke. Doch das Bundesgesundheitsministerium wiegelt ab. "Die fehlende Bereitschaft eines pharmazeutischen Unternehmers könnte nicht ohne weiteres im Wege einer hoheitlichen Entscheidung ersetzt und dann im Wege einer behördlichen Ersatzvornahme "vollstreckt" werden", heißt es in einer Stellungnahme gegenüber Frontal21.

Sendung vom 11.11.2008 [frontal21.zdf.de]




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